Das Endocannabinoid-System verstehen

Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein entscheidendes biologisches System, das eine Vielzahl von physiologischen und pathophysiologischen Funktionen in unserem Körper beeinflusst. Seine Entdeckung und fortlaufende Erforschung haben ein neues Verständnis für die Mechanismen hinter Homöostase und Gesundheit geliefert. In diesem Artikel möchten wir, anhand einer Reihe von wissenschaftlichen Quellen, die Funktionen, die medizinische Bedeutung und die therapeutischen Möglichkeiten des ECS detaillierter beleuchten.

Was genau ist das Endocannabinoid-System

Der Begriff Endocannabinoid setzt sich aus den zwei Teilen Endo und Cannabinoid zusammen. Das Wort “Endo” kommt aus dem Griechischen und bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie “innerhalb” oder “von innen”. Im Zusammenspiel mit dem Begriff “Cannabinoid”, welcher grundlegend für chemische Verbindungen wie THC und CBD steht, bezeichnet das Wort Endocannabinoid also innere/körpereigene Moleküle, welche in Wirkungsweise und Art sehr stark mit den Cannabinoide der Cannabispflanze vergleichbar sind.

Das Endocannabinoid-System wurde erst in den späten 1980er Jahren entdeckt1,2, doch seitdem hat die Forschung gezeigt, dass es eine zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung der physiologischen Homöostase, also dem “Inneren Gleichgewicht” des Körpers, spielt. Dieses System, bestehend aus Rezeptoren, endogenen Liganden (den Endocannabinoiden) und den Enzymen, die diese synthetisieren und abbauen, ist in nahezu allen Geweben des menschlichen Körpers präsent und beeinflusst eine Vielzahl von biologischen Prozessen.

Immunsystem. Dazu zählen unter anderem3,4,5:

  • Schmerzempfinden
  • Entzündungsprozesse
  • Appetit
  • Verdauung
  • Seelische und psychiatrische Zustände
  • Schlafrhythmus
  • Gedächtnis
  • Fortpflanzung
  • Kardiovaskuläre Funktionen 

Komponenten des ECS

Um das Zusammenspiel der Komponenten im Endocannabinoid-System zu verstehen, muss man sich diese Komponenten zuerst im Einzelnen betrachten.

Endocannabinoide

Die Forschung hat zwei primäre Endocannabinoide identifiziert: Anandamid (AEA) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG).6 Diese Moleküle werden “on-demand” synthetisiert und wirken als retrograde Neurotransmitter, um die Aktivität von Neuronen zu modulieren und die Freisetzung weiterer Neurotransmitter zu regulieren – um es einfach zu erklären: Die körpereigenen Endocannabinoide beeinflussen den menschlichen Körper und werden nur dann gebildet, wenn sie gebraucht werden. Die Funktionen von Endocannabinoiden bei der neuronalen Kommunikation geben Aufschluss darüber, wie sie Schmerzen lindern, den Schlaf regulieren, den Appetit steuern, die Stimmung beeinflussen und vieles mehr.

Cannabinoid-Rezeptoren

In unserem Körper gibt es die sogenannten Cannabinoidrezeptoren (CB), die in CB1- und CB2-Rezeptoren unterschieden werden.7 Sie sind die primären Rezeptoren im Endocannabinoid-System. CB1-Rezeptoren sind vorwiegend im Gehirn und Zentralnervensystem lokalisiert, während CB2-Rezeptoren mehr in peripheren Geweben, wie Haut, Muskeln oder Knochen und besonders im Immunsystem zu finden sind. Diese Rezeptoren reagieren sowohl auf endogene Cannabinoide als auch auf Phytocannabinoide aus der Cannabispflanze. 

Metabolisierende Enzyme

Die Enzyme FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase) und MAGL (Monoacylglycerol Lipase) sind für den Abbau von AEA bzw. 2-AG zuständig. Die Regulation dieser Enzyme und somit die Kontrolle über die Konzentrationen von Endocannabinoiden im Körper sind von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit. Sobald die Endocannabinoide nicht mehr benötigt werden, erfolgt ihr Abbau. Mit anderen Worten: Endocannabinoide werden nur produziert, wenn sie benötigt werden.8

Medizinische Bedeutung von Phytocannabinoiden

Die Interaktion von Phytocannabinoiden, wie THC und CBD, mit dem Endocannabinoid-System hat zu einem verstärkten Interesse an der therapeutischen Nutzung von Cannabis geführt.9 THC bindet an CB1-Rezeptoren und imitiert die Wirkung von Endocannabinoiden. THC ist auch für die psychoaktiven Effekten verantwortlich, die typischerweise mit dem rekreationalen Konsum von Cannabis assoziiert werden.CBD hingegen hat eine eher indirekte Wirkung auf das ECS und kann potenziell entzündungshemmende und angstlösende Effekte ausüben.

Zurzeit beschäftigen sich immer mehr Studien mit den Effekten  Cannabinoiden auf das Endocannabinoid-System. Es wird unter anderem vermutet, dass Menschen, welche durch Krankheiten oder andere Einflüsse ein möglicherweise gestörtes ECS aufweisen, einen positiven Effekt durch die Einnahme Cannabinoiden verspüren können. 

Therapeutische Ansätze

Die Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung von Medikamenten, die das ECS modulieren können, um eine Vielzahl von Erkrankungen und verschiedene damit einhergehende Symptome zu behandeln. Von Schmerzmanagement und Entzündungshemmung bis hin zur Behandlung von neurologischen Störungen, psychischen Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – das Endocannabinoid-System bietet zahlreiche Ansatzpunkte für neue Therapien.

Somit zählt auch eine Therapie mit Cannabinoidarzneimitteln zu einem dieser therapeutischen Ansätze, da die Pflanze weit über 100 Phytocannabinoide besitzt.10 Durch das Verdampfen von Cannabisblüten oder die oralen Einnahme von Cannabisextrakten oder Zubreitungen auf Basis von Einzelwirkstoffen wie Dronabinol oder CBD werden den Patienten und Patientinnen (Phyto-)Cannabinoide zugeführt, welche die Symptome der Erkrankung lindern sollen. Dazu zählen beispielsweise chronische und neuropathische Schmerzen, Spastik, Übelkeit und Erbrechen (z.B. im Zusammenhang mit einer Chemotherapie), Apeetitlosigkeit,Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungen und noch einige mehr. 

Die Verteilung der Komponenten des Endocannabinoid-Systems im gesamten Körper und die physiologische/pathophysiologische Rolle der ECS-Signalwege bei vielen Krankheiten bieten vielversprechende Möglichkeiten für die Entwicklung neuartiger cannabinerger, cannabimimetischer und cannabinoidbasierter Therapeutika, die das ECS durch Hemmung von Stoffwechselwegen und/oder Agonismus oder Antagonismus der Rezeptoren des Systems genetisch oder pharmakologisch modulieren.11

Zusammenfassung

Das Endocannabinoid-System ist ein fundamentaler Bestandteil der menschlichen Physiologie mit weitreichenden Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Die Entdeckung und Erforschung des ECS hat nicht nur unser Verständnis für die Wirkung von Cannabis erweitert, sondern auch neue Wege für die Entwicklung innovativer Therapien eröffnet. Mit fortlaufender Forschung und Entwicklung stehen wir möglicherweise am Anfang einer neuen Ära der medizinischen Behandlung, die das volle Potenzial des Endocannabinoid-Systems nutzen kann.

Quellen:

  1. Matsuda, Lisa A., et al. “Structure of a cannabinoid receptor and functional expression of the cloned cDNA.” Nature 346.6284 (1990): 561-564.
  2. Munro, Sean, Kerrie L. Thomas, and Muna Abu-Shaar. “Molecular characterization of a peripheral receptor for cannabinoids.” Nature 365.6441 (1993): 61-65.
  3. Russo, E. B. Introduction to the Endocannabinoid System. (1998).
  4. Rodríguez de Fonseca, Fernando, et al. “The endocannabinoid system: physiology and pharmacology.” Alcohol and Alcoholism 40.1 (2005): 2-14.
  5. Pacher, Pál, and George Kunos. “Modulating the endocannabinoid system in human health and disease–successes and failures.” The FEBS journal 280.9 (2013): 1918-1943.
  6. Di Marzo, Vincenzo. “‘Endocannabinoids’ and other fatty acid derivatives with cannabimimetic properties: biochemistry and possible physiopathological relevance.” Biochimica et Biophysica Acta (BBA)-Lipids and Lipid Metabolism 1392.2-3 (1998): 153-175.
  7. Russo, E. B. Introduction to the Endocannabinoid System. (1998).
  8. Rodríguez de Fonseca, Fernando, et al. “The endocannabinoid system: physiology and pharmacology.” Alcohol and Alcoholism 40.1 (2005): 2-14.
  9. Petrocellis, Luciano De, Maria Grazia Cascio, and Vincenzo Di Marzo. “The endocannabinoid system: a general view and latest additions.” British journal of pharmacology 141.5 (2004): 765-774.
  10. Turner, Carlton E., Mahmoud A. Elsohly, and Edward G. Boeren. “Constituents of Cannabis sativa L. XVII. A review of the natural constituents.” Journal of natural products 43.2 (1980): 169-234.
  11. Lowe, Henry, et al. “The endocannabinoid system: a potential target for the treatment of various diseases.” International journal of molecular sciences 22.17 (2021): 9472.