5000 Jahre Medizinisches Cannabis  – wo stehen wir heute?

Dank zahlreicher Wirksamkeitsstudien haben sich die in Cannabispflanzen enthaltenen Cannabinoide in verschiedenen medizinischen Anwendungsbereichen in der Schulmedizin etabliert. Auch in früheren Zeiten war man sich bereits der heilenden Eigenschaften der Pflanze bewusst.1 Die Verwendung der Pflanze, oder Teile davon, wurde bereits vor gut 5000 Jahren praktiziert. Die damalige Medizin beschränkte sich in den meisten Fällen jedoch auf den Einsatz von Ölen, Tinkturen und anderen Zubereitungen und nicht wie heute auf das Rauchen oder Verdampfen der Blüten. Die Inhalation von Cannabis-Rauch war selten und meist nur rituell in einigen Kulturen bräuchlich. 

2700 v. Chr.: Chinas Ur-Kaiser entdeckt Cannabis

Laut der Überlieferungen soll bereits im Jahre 2700 v. Chr. Kaiser Shennong, der als einer der Urkaiser Chinas und Gründer der Zivilisation bezeichnet wird, die heilsamen Wirkungen der Pflanze erforscht haben. Auch wenn seine Geschichte eher mythologisch als realistisch ist (Herrschaft von 140 Jahren), werden seine Lehren auch heute noch verehrt. Er selbst soll Hunderte von Kräutern und Gegengiften selbst getestet und erfunden haben. Seine Empfehlung für Entspannung war das Trinken von Cannabis-Tee. 

Weitere 1000 Jahre später wurden seine Erkenntnisse aus mündlichen Überlieferungen in einem der ersten medizinischen Fachbücher, dem “Pen T’sao” festgehalten. Interessanterweise scheinen die Überlieferungen zum Thema Cannabis in China gar nicht unrealistisch: 2008 fand man rund ein Kilogramm Cannabis in einem 2700 Jahre alten, chinesischen Grabmal. 2

1200 v. Chr.: Ägypten

Tief in der Pyramide von Ramses II hatte sich nicht nur Staub im Sarkophag abgelagert: Bei einer Analyse wurde festgestellt, dass sich Cannabis-Pollen auf der Mumie befanden. Auch soll es Aufzeichnungen, wie den Ebers-Papyrus, zur Nutzung von Cannabis-Produkten geben, welche die Verwendung als Medizin in Form von Salben und Tinkturen gegen Glaukome oder Entzündungen beschreiben. Auch hier wurde das Cannabis nicht geraucht, sondern mit anderen Kräutern im “Rohzustand” vermischt und auf die betroffenen Stellen aufgetragen.2

1000/600 v. Chr.: Indisches Bhang

Die Verwendung von Cannabis ist auch in Indien schon lange nichts Neues mehr. Bereits vor gut 3000 Jahren wurde eine Mixtur aus Milch, verschiedenen Gewürzen und Kräuter, darunter Cannabis, hergestellt und getrunken. Zum einen war es ein rituelles Getränk, um in die Kommunikation mit den Göttern zu treten, doch es wurde auch als Heilmittel gegen eine Vielzahl von Erkrankungen geschätzt. Um 600 v. Chr. wurde Bhang oder viel mehr Cannabis in der ayurvedischen Schrift “Sushruta Samhita” aufgelistet und als Anti-Phlegma-Mittel und Heilmittel gegen Lepra erwähnt.3

200 v. Chr.: Griechenland 

Cannabis als Medizin war im antiken Griechenland eher unbekannt. Es wurde zwar hin und wieder gegen Ohrenschmerzen, Ödeme und Entzündungen verabreicht, doch wurde ihm keine besondere Stellung zuteil. Allerdings waren auch hier die Zubereitung und Konsumform sehr interessant im Hinblick auf heutige Methoden: Laut Aufzeichnungen wurde das Cannabis für Salben zuerst verbrannt oder erhitzt, anschließend zu Pulver zermahlen und als Salbe angerührt – es fand bereits eine frühe Form der Decarboxylierung statt. Eine andere Medikationszubereitung war das Zerstoßen von Cannabis-Samen in einem Becher, welche anschließend mit warmen Wasser oder Wein übergossen wurden. Die Samen wurden nach einer Zeit wieder herausgenommen und das so gewonnene “Extrakt” sollte gegen innere Entzündungen oder bei Ohrenschmerzen helfen. In geräucherter Form schien Cannabis allerdings beim Orakel von Delphi genutzt worden zu sein. Es heißt, dass die Priesterinnen des Apollo über einer Spalte saßen, aus der der Dampf von geräucherten Kräutern, darunter auch Cannabis, emporstieg und die Priesterinnen in eine Art Trance versetzte.3

70-100: Römischer Wurzelsud und Hanfsamenöl

Einige Jahrzehnte nach Christi Geburt gab es auch im alten Rom bereits Aufzeichnungen über die Verwendung von Cannabis in der Medizin. Der Gelehrte Plinius der Ältere, welcher die Naturalis historia, ein enzyklopädisches Werk zur Naturkunde, verfasst hatte, schrieb, dass ein Sud aus den Wurzeln der Cannabispflanze gegen Schmerzen und Krämpfe wirken solle. Auch der griechische Arzt Pedanios Dioscurides, welcher im römischen Reich praktizierte, berichtete  von einem Mittel aus gepressten Hanfsamen gegen Ohrenschmerzen. Somit zeigten auch die Römer bereits erste Anzeichen für das Verständnis der Extraktion.

200: Chinesischer Cannabis-Painkiller-Cocktail

Im zweiten Jahrhundert war es der chinesische Chirurg Hua T’o, der Cannabis als Schmerzmittel bei seinen Operationen verwendete. Da zu seinen Operationstätigkeiten auch solche wie Organtransplantation, Darmresektionen und Einschnitte in Brust und Lenden der Patienten zählten, verabreichte er ein Gemisch aus Cannabisharz und Wein, um die Operierten zu narkotisieren und später ihre Schmerzen zu lindern. Der Chirurg schien sich schon zur damaligen Zeit bewusst zu sein, dass die wirksamen Stoffe im Harz der Pflanze enthalten sind.

1100/1500: Deutsche Kräuterkunde

Hildegard von Bingen (1098–1179) war Dichterin, Äbtissin, Benediktinerin und vor allem eine Kräutergelehrte. Und gerade letzteres macht sie zu einer Schlüsselfigur für die Geschichte von medizinischem Cannabis. In ihrem Werk “Physica – Liber simplicis medicinae” schrieb sie über  2000 Heilmittel und -methoden auf, bei denen Cannabis natürlich nicht fehlen durfte. Sie beschreibt in ihrem Buch Cannabis als förderlich für die Verdauung, übelkeitslindernd und schmerzstillend. Auch eine äußerliche, lokale Anwendung zur Behandlung von Wunden und Geschwüren wird dort empfohlen. Auch bei rheumatischen sowie bronchialen Erkrankungen soll sie Cannabis empfohlen haben. Gegen 1484 wurde es jedoch von Papst Innozenz VIII verboten, der es als Sakrament der Satansmesse und als Hexenkraut bezeichnete. In dieser Zeit waren Heiler und Kräuterkundige oft Ziel der Hexenverfolgung.6

Später im Jahre 1588 wurde die medizinische Verwendung von Cannabis wieder vom deutschen Botaniker und Mediziner Jacobus Tabernaemontanus in seinem “Neuw Kreuterbuch” erwähnt. Er empfahl Frauen, die Medizin gegen Bauch- und Unterleibsschmerzen einzunehmen.

1600/1800: Cannabis in Großbritannien

Bereits im Jahre 1621 beschrieb der englische Gelehrte Robert Burton in seinem Buch “The Anatomy of Melancholy” Cannabis als ein wirksames Mittel gegen Depressionen. Auch der berühmte Kräuterkundler Nicholas Culpeper (1616–1654) veröffentlichte in seinem Werk “The English Physitian” Beschreibungen über die Heilsamkeit von Cannabis gegen Symptome der Gicht, Schmerzen in Sehnen und Hüfte, sowie Entzündungen.

Im Jahre 1840 erfuhr Cannabis als Medizin einen neuen Aufschwung im Vereinigten Königreich, verursacht durch den irischen Arzt William O’Shaughnessy, der als Kriegsarzt in Indien tätig gewesen war. Von seinen Reisen brachte er das Wissen über die Pflanze aus Indien mit und veröffentlichte es in seinen Arbeiten. Zu den Anwendungsgebieten für medizinisches Cannabis zählten Muskel- und Menstruationskrämpfe sowie Rheuma. Für Tetanus-, Tollwut- und Epilepsiekrämpfe soll dabei auf Harz, also eine potentere Form, zurückgegriffen worden sein.7

1845: Cannabis und psychische Erkrankungen in Frankreich

Während sich die meisten Kräuterkundigen und Mediziner:innen mit den Auswirkungen der Pflanze auf den Körper befassten, erforschte der französische Psychiater Jacques-Joseph Moreau die psychoaktiven Effekte von Cannabis. Sein Ansatz war es, die Psychoaktivität der Substanz zu nutzen, um eine psychische Erkrankung zu heilen oder erneut hervorzurufen, um sie anschließend behandeln zu können. Seine akribischen Aufzeichnungen über die körperlichen und geistigen Reaktionen seiner Probant:innen, zu denen er auch selbst zählte, trugen letztendlich einen enormen Teil zur modernen Psychopharmakologie bei.

1906-1970: Prohibition in den USA

Während des 19. und 20. Jahrhunderts galt Cannabis und Haschisch in den USA als ein allgegenwärtiges Medikament, welches häufig gegen eine Vielzahl von Leiden verschrieben wurde. Doch auch stärkere Opioide wie beispielsweise Morphium wurden häufig bei Schmerzen oder Durchfall empfohlen. 1906, als die Opioidkrise durch die fehlende Regulierung der Substanzen in den USA allmählich ins Rollen kam, wurden mit der Gründung der US Food and Drug Administration (FDA) auch deutlich strengere Regeln für den Verkauf, Transport, die Herstellung und ebenso die Forschung mit Cannabis eingeführt. Bereits 1914 galt Cannabis, damals als “Marihuana” bezeichnet, als illegale Substanz, wurde 1961 international in der “Single Convention on Narcotic Drugs” als Schedule One Drug deklariert – als Substanz ohne akzeptierten medizinischen Wert und hohem Abhängigkeitsrisiko – und 1970 durch den “Controlled Substances Act” (CSA) in nationales Recht überführt.8 Somit kamen die Forschungen rund um Cannabis für lange Zeit zum Stillstand in den USA. 

Medizinisches Cannabis der Neuzeit

Die Nutzung von medizinischen Cannabisprodukten war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch verbreitet, verschwand jedoch mit der Zeit aus verschiedenen Gründen.9 Zum einen ermöglichte der medizinische Fortschritt die Entwicklung neuer Arzneimittel für Indikationen, welche zuvor mit Cannabis therapiert wurden. Zum anderen handelt es sich bei Cannabis um ein Naturprodukt, welches im Punkt Standardisierung nicht mit den neuen Medikamenten mithalten konnte. Wirtschaftliche Probleme, wie Importbeschränkungen und Kriege, erhöhten die Preise. Im Anschluss führten immer strengere Vorschriften und rechtliche Einschränkungen schließlich zum Verbot von Cannabismedikamenten. 

Medizinische Forschung

In den 60er Jahren beschäftigte sich der Wissenschaftler Dr. Raphael Mechoulam, Professor für Medizinische Chemie an der Hebräischen Universität von Jerusalem, in Israel am Weizmann-Institut mit der Forschung rund um Cannabis. Mechoulam gelang es als erster THC in seiner reinen Form zu isolieren. Zudem war er auch der Erste, der erfolgreich THC synthetisieren konnte. Somit zählt er zu einer der wichtigsten Personen in der Geschichte von Cannabis.

Die Anfänge der Erforschung des Endocannabinoidsystems gehen auf die Arbeit von Wissenschaftlern wie Allyn Howlett und William Devane 1988 zurück. Sie identifizierten Rezeptoren im Gehirn, die auf Cannabinoide reagierten. Später wurden zwei Haupttypen dieser Cannabinoidrezeptoren identifiziert und als CB1- und CB2-Rezeptoren bezeichnet.

In den 1990er Jahren wurden schließlich durch ein Forschungsteam des National Institute of Mental Health (NIMH, Bethesda, Maryland/USA) in Zusammenarbeit mit den israelischen Wissenschaftlern Raphael Mechoulam und Shimon Ben-Shabat weitere Komponenten des Endocannabinoidsystems, die Endocannabinoide Anandamid und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) entdeckt und isoliert. Diese Arbeiten legten den Grundstein für das Verständnis des Endocannabinoidsystems und des pharmakologischen Potentials der Phytocannabinoide. 

Legalisierungen weltweit

Während Cannabis weltweit in den 70er und 80er Jahren weiterhin als illegale Substanz ohne medizinischen Wert behandelt wurde, war es der Bundesstaat California, der 1996 als erstes in den USA medizinisches Cannabis legalisierte. Diesem folgten 1998 Alaska, Oregon und Washington. Und zum Beginn des 21. Jahrhunderts verbreiteten sich die medizinischen Studien in weitere Länder, wie Luxemburg, Kanada, Portugal und viele weitere.In Europa sind es derzeit bereits 30 Länder, die den medizinischen Gebrauch von Cannabis legalisiert haben. Auch in Deutschland entschied man sich 2017 dazu, Ärzt:innen die Möglichkeit zur erleichterten Verschreibung von medizinischem Cannabis zu geben. Und vor kurzem wurde das neue Cannabis-Gesetz (CanG) verabschiedet, welches in zwei Säulen eingeteilt wird, von denen die erste eine Entnahme von Cannabis aus der Liste der Betäubungsmittel (BTMG) inkludiert.

Blick in die Zukunft

In den letzten Jahren wurden immer mehr vielversprechende präklinische sowie klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabinoiden bei der Behandlung unterschiedlicher Erkrankungen und Symptome durchgeführt. Neben den beiden bekanntesten Cannabinoiden rücken jedoch auch weniger bekannte Cannabinoide und weitere Pflanzenstoffe wie Terpene und Flavonoide immer weiter in den Fokus der Forschung. 


Doch auch wenn wir bereits um ein Vielfaches weiter sind, als noch vor 20 oder 30 Jahren, so ist dennoch klar, dass für die Forschung noch lange kein Ende in Sicht ist. Die Identifizierung der verschiedenen Wirkstoffe und ihrer möglichen pharmakologischen Potentialeist zwar ein Anfang, doch ist immer noch unklar, in welcher Art die Komponenten miteinander agieren und welche weiteren Pflanzenstoffe, wie z.B. Terpene einen zusätzlichen Einfluss auf die Wirkung des Medikamentes haben können. Daher blicken wir weiterhin nach vorn in eine spannende Zeit der Forschung und Entwicklung rund um das Thema medizinisches Cannabis.